Episode 14 Des Teufels Finger I - Lügengespinst

Fortsetzung Kapitel 3

Noch immer inmitten der Alta Langa, Anfang August 1557

Edelfa war umsonst gerannt: Emanuele fing sie. „Hab dich, Taube!“ Er lachte. Ungezwungen und frei, fast knabenhaft. Mit Schwung landete Edelfa unter ihrem Kreischen auf seinen Armen und sofort stieg ihr sein Geruch in die Nase. „Lasst mich los!“, bäumte sie sich heftig. „Und duzt mich nicht andauernd! Wir sind gleichen Standes und uns nicht vertraut!“
Emanuele hielt sie fest. Er stutzte, woraufhin er wieder lachte. „Es ist ganz einfach, Taube. Duz mich auch. Emanuele heiß ich.“ Übermütig küsste er sie schmatzend auf den Mund.
„Schämt Euch!“ Edelfa strampelte weiter und giftete. „Ein Edelmann wollt Ihr sein! Dabei seid Ihr bloß ein gewöhnlicher Lüstling!“
„Wenn ich das wäre, schöne Taube…“, hörte sie ihn dicht an ihrem Ohr. Sein Lachen war augenblicklich verstummt und seine Griffe wurden noch fester. „…Dann würde ich dich hier und jetzt deiner Unschuld berauben. Sieh dich um, wir sind allein…“
Erneut spürte Edelfa, wie sein Atem tief an ihr sog. Sein verführerischer Tonfall und sein intensives Riechen an ihr setzten in Edelfa ungeahnte Kräfte frei. „Was bildet Ihr Euch ein, wer ich bin? Die Augen würde ich Euch auskratzen! Ihr hättet an mir wenig Freude!“
In einem einzigen Aufbäumen wand sie sich aus seinen Armen. Sie stieß sich regelrecht von ihm ab und ließ ihrer Drohung die Tat folgen:
Bevor er es sich versah, hatte sie ihre Fingernägel in seinen Unterarm gegraben, von dem der Hemdsärmel gerutscht war. Sofort begann er zu bluten.
„Was tust du?!“ Entgeistert zuckte Emanuele zusammen. Eilig zog er seinen Ärmel über den Arm in Angst, sie könne bemerken, dass sich ihre Kratzer in wenigen Sekunden geschlossen haben würden. Unterdessen er das Bündchen um sein Handgelenk zuknöpfte, sah er zu ihr.
„Nehmt mich einfach beim Wort“, kommentierte Edelfa lakonisch. „Das nächste Mal sind es Eure Augen.“ Kühl und gleichgültig ging ihr Blick an ihm vorbei. Ohne einen erneuten, sicherlich vergeblichen Fluchtversuch blieb sie bei ihm stehen:
Sie hatte sich ihrer Haut erwehrt. Dies musste ihr für den Moment genügen.
Überrascht von ihrer Kraft hegte Emanuele keinen Gedanken, die junge Frau in irgendeiner Weise zu strafen. Er hatte sie unmäßig herausgefordert und sie hatte ihn in die Schranken gewiesen, furchtlos, obwohl sie mit weiterer Pein rechnen musste, bei dem, was er ihr bereits zugemutet hatte…
„Nun, was ist? Wollt Ihr mich nicht bestrafen? Wo Ihr dies so gut könnt!“, platzte es aus Edelfa heraus. Sie ertrug seine versonnenen Blicke nicht länger auf sich. Er sollte sie zurückbringen, zu dem Tross. Dort bestand die Aussicht, dass sie wieder unter den Adelssöhnen weilen konnte…mit ihnen Fluchtpläne schmieden konnte… – Indes, ihr Peiniger hatte es offensichtlich nicht eilig. Weder mit einer Strafe, noch mit der Rückkehr. Unverändert ruhten seine grünen Augen wie selbstvergessen auf ihr.
„Nicht du gehörst gestraft, Taube“, ließ er sich nach einer kleinen Ewigkeit vernehmen. „Sondern diejenigen, die dir zur Flucht verholfen und dich so in Gefahr gebracht haben.“
Edelfa wurde gewahr, wie es in seinen Augen aufblitzte, fast gefährlich wie ihr schien. Sofort war sie gewarnt. „Sei auf der Hut, für dich und diese ihm ausgelieferten Männer!“
„Ihr überschätzt Euch. Niemand musste mir helfen, locker wie Eure Knoten waren.“ Herablassend zuckte sie mit ihren Schultern und noch immer sah sie an ihm vorbei.
Eifersucht flammte in Emanuele auf. War sie diesen Männern etwa bereits zugetan?! Niemals hatte sie sich ohne Hilfe befreit! Er kannte seine Knoten… Mit einem energischen Schritt trat er zu ihr, fasste unter ihr Kinn und hob es zu sich.
Edelfa konnte seinem stechenden Blick nun nicht mehr ausweichen. Doch sie hielt ihm stand. Sie lenkte ihre Wahrnehmung auf das leuchtende Smaragdgrün und seine unübersehbare Eifersucht. Nichts anderes steckte hinter seiner Drohgebärde. Demnach gefiel sie ihm… Trotz ihrer misslichen Lage, ihm ausgeliefert zu sein, konnte sie ihn nicht verhindern, den Hauch eines Lächelns, kaum merklich, verraten nur in ihrem Blick. Außerdem zogen sie seine ungewöhnlichen Augen an. Sie blieb bei ihnen…
Ihre Regungen feinsinnig aufgenommen und seine Eifersucht jäh vergessen, wollte Emanuele mehr. Mehr von ihren großen Augen, die ihn erstmals bestaunt hatten. Und er wollte ein richtiges Lächeln von ihr. Wenn er ihr weiterhin nur drohte, schenkte sie ihm dies sicher nicht. Sein war sie, die schöne Taube. Niemand machte sie ihm streitig. Was regte er sich auf? Cortemilia’s Grube wartete… auf diese Männer…
„Es ist gut, Taube“, ließ er sie also hören. „Du bist bei mir und dir ist nichts geschehen. Und künftig weißt du, dass es sich nicht lohnt, vor mir zu fliehen. Auch wenn man dir noch so sehr dazu verhelfen sollte.“ Sanft streichelte er ihr Kinn und trat einen Schritt zurück. „…wie ein Conte einer Contessa gegenüber… Gewähre ich Euch meine Gunst…“ Ihre Worte hämmerten in ihm. Es wäre zu schön! Wie sein Herz klopfte!
„Konnte ich wissen, dass Ihr in einer derart gottverlassenen Gegend haust, als ich die Gelegenheit nutzte, die Ihr mir botet?“ Edelfa konterte. Ihr blieb seine veränderte Haltung, die sie ungewollt in ihm ausgelöst hatte, nicht verborgen. Außerdem hoffte sie, ihn auf diese Weise endgültig von den ihm ausgelieferten Männern abzulenken.
„Oh“, kam nicht ohne Stolz zurück. „Die Alta Langa ist nicht gottverlassen! Ein Kleinod ist sie, reich an ungeahnten Schätzen. Edle Haselnüsse von feinstem Aroma, beste Weine.“ Enthusiastisch sah er zu ihr. „Nicht zu vergessen unsere weißen Trüffel. Könige lecken sich die Finger danach und wiegen sie uns in Gold auf!“
Edelfa gab keine Antwort. Ihre Gedanken arbeiteten. Er scheint sie zu kennen, dieser Lauro. Ihr wurde bewusst, wovor ihr tapferer Befreier versucht hatte, sie zu warnen: „Alta Langa.“ Ihr Vater hatte wohl nie darüber gesprochen, sie konnte sich jedenfalls nicht erinnern…
Vater…“ Edelfa wünschte sich nur noch eines:
Nämlich, dass ihr Gegenüber sie zurückbrachte, auf den Planwagen, zu den Männern, die diese Gegend kannten. Sie musste ihn aufstacheln, irgendwie, ohne die Adelssöhne in Gefahr zu bringen…
Vergeblich wartete Emanuele auf ihre Erwiderung. Mit einer Handbewegung verwischte er ihr offensichtliches Desinteresse: „Oder was meinst du, warum ich mir eine Sklavin wie dich leisten kann?“
„Pah, niemals werde ich dies sein!“ Edelfa nutzte seine aus ihrer Sicht überhebliche Äußerung und schickte ihm einen vernichtenden Blick. „Bezahlt habt Ihr mich schließlich mit fremdem Gold! Schlicht gestohlen ein Geschenk meines Bräutigams! Für mich seid Ihr nichts weiter als ein Dieb!“ Mehr konnte sie nicht stacheln. Obwohl im Grunde die Wahrheit, musste er sich direkt brüskiert fühlen, ob er sie nun abermals bestrafte oder nicht. Hauptsache, sie gelangte wieder auf den Planwagen. Dort erwarteten sie ihre Beschützer…
Emanuele reagierte in keinster Weise erzürnt, aber er wehrte sich. „So, so, von deinem Bräutigam also“, stellte er sachlich fest. „Wer ist er, dass er dich in die Hände der Franzosen laufen ließ? Ich hätte dies niemals zugelassen.“ Entschlossen sah er zu ihr. Ohne die Erwartung einer Antwort fuhr er fort. „Nun, Taube, ganz gleich wer immer er gewesen sein mag. Du kannst ihn vergessen. Jetzt gehörst du mir und ich bringe dich auf meine Burg.“ Seine Bestimmtheit unterstreichend, zog er die Reitpeitsche aus einem seiner Lederstiefel und klopfte damit gegen dessen Schaft.
Wieder arbeitete es in Edelfa:
Richtig, ihr Bräutigam. Wie weit war das Monferrato von dieser Alta Langa entfernt? Ob er sie suchte? Sollte sie nach einem Weg sinnen, um ihn zu erreichen? Sah sie in ihm überhaupt den erstrebenswerten Retter, Oreste d‘Alfero, alt wie er war? Gelänge sie wieder nach Hause, würden ihre Eltern sicher von einer Vermählung mit ihm absehen, glücklich, dass sie den französischen Fingern entronnen war. – Nein, ihr Ziel war sicher nicht das Monferrato. Ihr Ziel war der Planwagen. Vielleicht käme sie mit einem ihrer Retter als Bräutigam nach Hause… Unbeabsichtigt wanderte ihr Blick zu ihrem Gegenüber und nicht nur er musterte sie still.
In der Meinung, ihr reges Gedankenspiel wohl erraten zu haben, lachte Emanuele, von ihren Blicken auf ihn freudig erregt, unbeschwert auf. „Sag es mir, Taube. Wer ist – nein – wer war er überhaupt?“, betonte er übermütig. „Komm, sag mir seinen Namen! Vielleicht kenne ich ihn sogar!“
Edelfa schwieg und überlegte. Sie versuchte, sein Lachen zu ignorieren, denn seine plötzliche Zutraulichkeit widerstrebte ihr. „Nicht nur ein ‚Conte-aus-dem-Wald‘ wie Ihr es seid, ein Marchese ist er.“ Das ‚ist‘ betont, sprach sie so verächtlich, wie sie nur konnte.
Emanuele war in seinem Frohsinn nicht zu beirren. Unerschütterlich grinste er zu ihr. „Oh, ah, ein ehrenwerter Marchese also“, sprach er mit vornehm gespitzten Lippen. „Dennoch, mir scheint, die große Liebe habe ich nicht getrennt. Habe ich dir am Ende einen Gefallen getan? Ist er alt?“ Auch jetzt musste er lachen und unverändert hingen seine Blicke an ihr.
Edelfa tat unbeteiligt. Sie gab den Anschein, sich in der Gegend umzusehen. In Wahrheit bohrten seine Witzeleien in ihr. Sie fühlte sich von seinen letzten Worten bis ins Mark getroffen und verletzt:
Schließlich hatte er Recht. Sie meinte, sie müsse weinen. Einmal mehr wurde ihr bewusst, dass ihre Mutter sie zu einer Hochzeit gezwungen und sie trotz der Warnungen der französischen Gefahr ausgesetzt hatte.
Dieser entronnen, sah sie sich nun einem arroganten Schönling gegenüber, der sie auslachte und dem sie wiederum nur ausgeliefert war. Attraktiv und anziehend wirkte er auf sie in seiner Erscheinung. In seinem ungezügelten Auftreten hingegen erschreckte er sie:
Er schien ihr ein Eroberer, kein Kostverächter, sie sicher nur in seine Sammlung einreihend, obenauf als gekaufte Sklavin, nichts weiter. – Ihr Stolz bäumte sich. Nein, keinesfalls! Nicht sie! Sie war eine adelige Tochter, die Respekt erwartete, weil sie ihn ihrer Meinung nach verdiente! Mit diesen Gedanken schob sie ihre aufsteigenden Tränen beiseite und ließ ihrem Selbstwertgefühl freien Lauf. Sie ballte ihre Fäuste. „Du reihst mich nicht ein! Du nicht!!
Von ihr unbemerkt, hatte Emanuele sie trotz seines Lachens bei ihrem Mienenspiel auch diesmal aufmerksam beobachtet. Aber wieder witzelte er nur. „Was ist dir, Taube? Denkst du etwa über mich nach?“
Edelfa wurde giftig. „Bevor ich das tue, schneit es eher im Sommer in diesem elendigen Landstrich!“
Emanuele wusste, dass es höchste Zeit war, zum Tross zurückzukehren. Schließlich war seine Mutter mit den Wächtern allein. Doch zu sehr genoss er seine ersten ungestörten Momente mit der jungen Frau. Er überging ihre feindselige Bemerkung und plauderte weiter. „Sag mir, wolltest du etwa davonfliegen? In deinem Unterkleid? Von der Baumkrone? Bei diesem Wind? Wie eine weiße Taube?“ Er amüsierte sich und realisierte nicht, dass seine Blicke unverblümt an ihr auf und ab glitten.
Edelfa kochte zunehmend. In ihr brodelte ein Gemisch aus Wut und Hilflosigkeit. Warum brachte er sie nicht endlich zurück auf den Planwagen? Stolz-trotzig verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust und schwieg.
Emanuele beherrschte sich. „Den Hals hättest du dir brechen können…“ Wieder hatte sich sein Tonfall verändert. Er klang nun fürsorglich, was Edelfa zuerst irritierte, dann empörte.
„So wäre es dennoch meine Entscheidung gewesen und nicht die Eure! Hätte ich mir den Hals heute beinahe gebrochen, dank Euch!“ Sie schmetterte wie eine Fanfare.
„Es tut mir leid, dass du in dem Fuhrwerk dir selbst überlassen warst. Es war nicht meine Absicht.“ Sanft lenkte er ein.
Edelfa meinte, sie höre nicht recht. Bat er sie etwa um Verzeihung?! Wie nett er sein konnte…
Emanuele hingegen erschrak über sich selbst. Noch nie hatter er sich, abgesehen von seiner Mutter, bei jemandem entschuldigt… Er versuchte, ins Lächerliche zu ziehen. „Nun, holdes Fräulein! Sieh mich als Retter in der Not, der dich bewahrt vor Kälte, Hunger, Tod!“ Sein Barett schwungvoll vom Kopf genommen und an seine Brust gedrückt, verneigte er sich vollendet vor ihr.
Befremdet sah Edelfa ihn an. „Nein, keine Entschuldigung. Er macht sich lustig über dich.
Als er wieder aufrecht stand und ihr, passend zu seiner Verbeugung, ein galantes Lächeln schickte, war Edelfas Schmerzgrenze erreicht. „Augenblicklich“, herrschte sie ihn zu seiner Verblüffung an, „bringt Ihr mich zurück auf Euren Sklavenkarren! Ich ertrage Eure Gesellschaft nicht länger! Und wenn nicht…“ Drohend hob sie ihre Hände in Richtung seiner Augen und formte sie zu Krallen.
„Aha“, hauchte Emanuele verwirrt. Er hatte nur freundlich sein wollen. Rasch verbarg er seine Unsicherheit hinter seiner gewohnt kühlen Arroganz. Er baute sich vor ihr auf und hielt ihr auffordernd die Stricke entgegen. „Da weiß ich doch Mittel und Wege, dich im Zaum zu halten.“
Edelfa war seine Drohung egal. Entschlossen streckte sie ihre Arme zu ihm. Sie legte die Handgelenke übereinander und versäumte dabei nicht, ihren Kopf stolz in den Nacken zu werfen.
Unterdessen Emanuele sie gegen seinen Willen fesselte, suchten seine grünen Augen in leisem Schmerz nach ihren Blicken. Doch sie verschloss sich vor ihm. Hoheitsvoll aufgerichtet, ihren Blick dabei vernichtend zu Boden gesenkt, sprach ihr ganzes Wesen Bände. Allesamt beschriftet mit nur einem einzigen Wort: Verachtung.
Stumm zog Emanuele sie zu seinem Pferd. Dort fasste er sie bei den Hüften und hob sie kraftvoll in die Höhe. Er ließ sie im Damensitz vor dem Sattel auf den Widerrist des schwarzen Araberhengstes gleiten und verschnürte ihr gedankenversunken die Knöchel. Währenddessen stand Aris, entgegen seiner sonstigen temperamentvollen Tänzelei, völlig ruhig. Er wandte Edelfa den Kopf zu und schnaubte leise. Für den Moment, der verblieb, bis Emanuele, Nero von der Leine gelassen, die Handschuhe eingesammelt und sich hinter ihr in den Sattel geschwungen hatte, tastete das weiche Pferdemaul sachte nach ihren Füßen. Zu dieser Berührung traf Edelfa ein aufmerksamer Blick aus dunklen Pferdeaugen.
Überrascht aber innig erwiderte Edelfa. „Intelligent und edel bist du“, signalisierte sie ihm. „Sei mein Freund…
„Los, Aris!“ Mit Emanueles Kommando endete der zauberhafte Augenblick, den das Tier ihr geschenkt hatte.
Ohne dass Emanuele der kurze Flirt zwischen Edelfa und dem Hengst aufgefallen wäre, legte er seine Arme um sie. In unbestimmtem Abschieddschmerz roch er ein letztes Mal tief an ihrem Haar, griff nach den Zügeln und tippte seine Sporen in die Pferdeflanken.
Nachdem das unwegsame Dickicht hinter und ein halbwegs freier Pfad vor ihnen lag, trieb er sein Pferd entschieden in den Galopp und wenig später hatten sie den Tross eingeholt.

„Hörst du das Hufgetrappel, Vicenzo?“ Lauro fragte leise, nachdem man ein Ross herangaloppieren hörte.
„Ja“, gab dieser zurück. „Und es klingt, als würde das Tier doppelte Last tragen, so wie es schnauft.“
„Hat er sie eingefangen…“
„Was dachtest du, bei dem Hund.“
„Irgendwie bin ich froh darüber, Vicenzo.“
„Ich weiß, Lauro. Und glaube mir, wir finden einen Weg zur Flucht. Ich bin sicher. Bedenke, wir sind zu siebt.“
„Und wir nehmen sie mit uns. Wir lassen sie nicht bei diesem Teufel.“
„Natürlich.“ Warm war der Blick, mit dem Vicenzo seinen Freund bedenken wollte. Doch dieser lauschte längst wieder angestrengt nach draußen. Soeben hatte das Fuhrwerk seine Fahrt verlangsamt.
„Kutscher, haltet an!“, hörten sie Emanueles Befehl und der Tross kam zum Stehen. In Erwartung, dass sich jeden Moment die Plane öffnen und er Edelfa zu ihnen zurückbringen würde, starrte Lauro darauf. Doch sie hob sich nicht. –
Emanuele stoppte den Hengst neben der Kutsche seiner Mutter. Er stieg ab, führte Aris dicht an die Kutsche und öffnete den Kutschenschlag. „Sie bleibt bei dir, Mutter. Bitte.“ Keinesfalls brächte er sie wieder in die Gesellschaft dieser Männer, vor allem, weil sie ihn dazu auch noch aufgefordert hatte. „Sieh sie dir an, fast unbekleidet wie sie ist.“
Emiliana nickte widerwillig. Die Fahrt erschien ihr anstrengend genug und sie verspürte wenig Lust, sich dazu noch irgendwelchen Schmähungen ausgesetzt zu sehen.
War Edelfa bisher ruhig gewesen, wehrte sie sich vehement, als Emanuele sie auf seine Arme hob und sich anschickte, sie in die Kutsche zu bugsieren. „Nicht zu der schwarzen Hexe!“, schrie sie und versteifte sich. Sie wollte zu den Männern im Planwagen! Deshalb stemmte sie ihre gebundenen Hände gegen die Kutsche und tat ein Gleiches mit ihren Füßen.
Emanuele strauchelte. Beinahe hätte er sein Gleichgewicht verloren. Hilfesuchend blickte er zu seiner Mutter, die mürrisch mit dem Kopf schüttelte.
„Nun schlag sie doch endlich, Emanuele! Worauf wartest du? Sie hat deinem Willen zu gehorchen!“ Emiliana verstand ihren Sohn nicht. Warum packte er nicht zu? Es wäre ihm ein Leichtes, sie zu bändigen!
In ihrem Entsetzen sah Edelfa in Emanueles Augen. Für einen Sekundenbruchteil erwiderte er ihren Blick. Danach wanderte dieser zurück zu seiner Mutter, ohne jedoch ihrer Aufforderung zu folgen.
Seufzend fasste Emiliana in ihre Röcke. Sie zog ein spitzes Messer sowie eine kleine Phiole hervor. Sie tunkte die Messerklinge in das Fläschchen, während Edelfa zuerst entgeistert in das Antlitz hinter dem Schleier, dann zu ihrer Brust starrte:
Blitzschnell war ihr das Messer zwischen die Rippen gestoßen worden. Ihr entfuhr ein schriller Aufschrei, bevor sie bewusstlos in Emanueles Arme zurückfiel.
Aufstöhnend bestieg er mit ihr die Kutsche und bettete sie auf die Polster. Wenig später gab er Befehl zur Weiterfahrt. –
„Um Himmels willen! Was macht man mit ihr??“ Edelfas Schrei war zu den Gefährten gedrungen. Lauro riss heftig an seinen Ketten und sah fassungslos zu seinem Freund, der seinen Blick erwiderte. Vicenzo ächzte schwer. An wen waren sie nur geraten? Zunehmend unheimlich erschienen ihm ihre neuen Herren. Wenn sie nur nach draußen sehen könnten!
Maurizio und Fabrizio begannen zu wimmern. „Als nächstes sind wir dran! Sie werden uns töten, sobald wir auf ihrer Burg sind!“
„Jämmerliche Hasenfüße seid ihr“, muffelte Korbinian finster. „Denkt ihr, die bezahlen Geld für uns und bringen uns dann um? Keine Angst. Denn wenn, dann dürfen wir die Taler zuvor erst schön abarbeiten.“
„Vicenzo, hörst du sie noch? Ich kann es nicht.“ Lauro konnte sich nicht beruhigen. So sehr er sich auch anstrengte, kein Laut der jungen Frau drang mehr zu ihm. Erneut sah er in Richtung seines blass gewordenen Freundes.
„Ich höre auch nichts“, hauchte Vicenzo zurück. „Es scheint, als hätte man sie betäubt. Vielleicht erfahren wir es, wenn wir an der Burg ankommen. Allzu lange dürfte es nicht mehr dauern. Was meinst du? Es wird schon dunkel…“

 

Musik: Gift of a Pen – David Celeste

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