Episode 18 Des Teufels Finger I - Lügengespinst
Fortsetzung Kapitel 3
Auf Burg Cortemilia am Nachmittag des 07. August 1557
„Hier ist die junge Dame“, hörte Edelfa hinter sich, als die Tür geöffnet wurde und Emiliana in Begleitung eines kleinen, dicklichen Mannes eintrat. Ungeachtet dessen, dass sie nicht mehr allein im Raum war, richtete sie ihren Blick weiterhin starr aus dem Fenster.
„Ah, ah, schön, sehr schön“, säuselte eine Stimme beflissentlich in ihrem Rücken. Daraufhin drehte sie sich um:
Der von Emanuele angekündigte Schneider war eingetroffen.
Noch ehe sie es sich versah, hatte er sie wieselflink bei den Händen gefasst und von Kopf bis Fuß gemustert. Unter den missmutigen Blicken Emilianas ließ sich Edelfa geduldig Maß nehmen, schließlich wollte der Mann nur auftragsgemäß seine Arbeit verrichten.
Ihre Größen sämtlich notiert, packte er aus einem wuchtigen Koffer eine Unzahl an Stoffmustern auf die Truhenbank. „Kommt her, junge Dame, kommt“, winkte er sie zu sich. „Wählt Euch Stoffe, und, wenn ich vorschlagen dürfte, beginnen wir mit diesem hier. Er stünde Euch sicher vortrefflich.“ Seine Hand fasste nach einer wunderschönen gelbschillernden Seide mit eingewebtem Rosenmuster, unzweifelhaft venezianisch und von der allerbesten Sorte.
Für einen Moment schlug Edelfas Herz höher. Zeitgleich bemerkte sie jedoch aus einem Augenwinkel Emilianas Hohnlächeln:
„Na, lässt du dich kaufen, stolzes Ding?“ Ihre Worte klangen Edelfa förmlich in den Ohren… Aber auch ohne diese Gebärde hätte sie getan, was sie nun unweigerlich tat:
Sie lehnte ab. Nicht unhöflich. Dennoch entschieden.
„Habt besten Dank für Eure Mühe, verehrter Meister“, gab sie sich herrschaftlich. „Nur steht mir im Moment nicht der Sinn nach schönen Kleidern. Auch fehlt es mir an Publikum. Seht, wie passend ich gekleidet bin, gleich einer Dienerin. Dieses Gewand genügt mir völlig. So gehabt Euch wohl.“
Sie wandte sich ab und ging wieder zum Fenster. Dabei verschaffte ihr Emilianas Schnaufen eine einzige Genugtuung:
Sie war nicht käuflich. Sie gewährte Gunst, wenn sie ihren Geschmack äußerte und Geschenke annahm. Und ihre Gunst verdiente unter diesem Dach niemand. Er, vielleicht, so er kapierte…
Der Schneider musste scheinbar ratlos und verunsichert zu Emiliana gesehen haben, denn diese, wohl kein Aufsehen erregen wollend, komplimentierte ihn aus dem Gemach. „Kommt, verehrter Meister. Unser süditalienisches Edelfräulein geruht mir heute verstimmt zu sein. Vermutlich liegt es am piemontesisch-schlechten Wetter.“
Seinen Koffer zusammengepackt und Edelfa ein „Habt vielen Dank für Eure Zeit. Einen schönen Tag Signorina!“, in den Rücken gedienert, schob Emiliana den Schneider zur Tür hinaus.
—
Am gleichen Abend, Edelfa hatte gerade die Lichter gelöscht, um zu Bett zu gehen, hörte sie das Türschloss knirschen. Noch während sie im Dunkeln eilig nach dem Umhang tastete, betrat Emiliana mit einem leuchtenden Kandelaber in der Hand das Gemach.
Edelfa erschrak, denn der ungeliebten Frau folgten zwei schwarz gekleidete Männer. Sie erschienen ihr unheimlich, in deren langen, dunklen Umhängen, mit ausladenden Hüten auf dem Kopf, die Gesichter unter schwarzen Masken verborgen… Was wollte man von ihr? Folgte nun die Strafe wegen des abgewiesenen Schneiders?
Emiliana stellte den Kerzenleuchter auf dem Tischchen ab und näherte sich. „Greift sie!“, folgte ihr Befehl, ohne auch nur ein Wort an Edelfa gerichtet zu haben.
Edelfa meinte, vor Angst zu erstarren, als die Männer auf sie zukamen. Sie fühlte sich grob bei den Armen gepackt und einer der Männer verband ihr die Augen. Instinktiv suchte sie nach seinem Geruch… Sie fand ihn nicht.
„Nach unten“, hörte sie stattdessen. Nachdem man sie aus dem Gemach gezerrt hatte, war ihr Schreck jedoch überwunden.
„Was wollt Ihr jetzt wieder von mir?“, schrie sie lautstark. „Habt Ihr mich noch nicht genug gedemütigt? Lasst mir wenigstens nachts meine Ruhe, Ihr elenden Ungeheuer!“ Zeitgleich bäumte sie sich kraftvoll auf, zog dabei ihre Beine an und versteifte sich. Damit brachte sie die beiden Männer derart aus dem Gleichgewicht, dass diese stolperten.
Edelfa nutzte die Gelegenheit. Sie schüttelte heftig mit dem Kopf, neigte ihn gegen ihre Schulter und es gelang ihr, die Augenbinde abzustreifen.
Mit verzerrtem Gesicht bückte sich Emiliana nach dem Tuch und quittierte Edelfa ihre Widerborstigkeit. „Dummes, stolzes Ding“, versetzte sie ihr einen Stoß ins Genick. Danach verband sie ihr erneut die Augen.
Auf Emilianas nachfolgendes Kommando wurden Edelfas Arme unsanft auf den Rücken gezwungen und sie fühlte sich angehoben. Während einer der Männer sie nun, bei den Beinen gepackt, gleich einem Sack auf seiner Schulter trug, ging der andere Wächter hinter ihm her. Er fixierte mit einer Hand zangengleich ihre Unterarme und hielt sie mit der anderen am Genick gepackt. Ihre weiteren Versuche, sich aufzubäumen, vergalt Emiliana ihr wiederum mit Schlägen.
„Richtig, schlagt richtig zu! Warum schlagt Ihr mich nicht gleich tot? Feiglinge, die Ihr seid, verfluchte Brut!“ Edelfa ließ ihrem Schmerz freien Lauf und ungeachtet der folgenden Hiebe bäumte sie sich trotzig weiter.
Welchen Weg man mit ihr gegangen war, hatte sie dementsprechend nicht verfolgt, aber irgendwann hörte sie eine schwere Tür ächzen. Kälte kroch unter ihr dünnes Nachthemd und in ihre Nase stieg ein seltsam beißender, schwefeliger Geruch. Dazu hallten die Schritte ihrer Peiniger zunehmend in ihren Ohren, ganz so, als ob man sich in einem raumgreifenden Gewölbe befände.
Ihr Gehör hatte richtig gedeutet. In genau solch einem Gewölbe stellte man sie auf die Füße, was sie blinzelnd realisierte, als man ihr das Tuch von den Augen genommen hatte. Nachdem der Druck der Augenbinde vollends gewichen und sie in der Lage war, ihre Umgebung zu betrachten, erschrak sie nochmals:
Kalt und düster zeigte sich das Kellergewölbe, das in Fels gehauen zu sein schien. Flackerlicht von entzündeten Wandfackeln, die die angsteinflößende Stimmung noch verstärkten, beleuchtete einen großen, glatten Steintisch. Dieser war mit schweren Eisenringen beschlagen, an denen ebensolche Ketten ankerten. Wo war sie?! In einem Gruselkeller?? Um sie in einer Maskerade gehörig zu ängstigen?? Damit sie gefügig würde? Sollte sie jetzt einfach nur lachen?!
Edelfa lachte nicht. Viel zu sehr pendelte sie zwischen dem Gefühl in Hysterie auszubrechen oder sich von nackter Angst überrollt zu sehen. Ihre Gedanken rasten dermaßen, dass sie sich widerstandslos von einem der Wächter die Arme über den Kopf heben ließ, wonach der andere Wächter ihr das Nachthemd auszog. Jener Wächter kam ihr dabei ganz nahe. Seine Berührungen schienen ihr in ihrer Verwirrung von der Art zu sein, in der Emanuele sie berührt hatte, als er sie aus dem Turm holte. Deshalb suchte sie nach seinen grünen Augen hinter der Maske. Auch blähten sich ihre Nasenflügel und sie saugte regelrecht nach seinem Geruch. Aber sie entdeckte weder seine Augen, noch seinen markanten Duft. Trotzdem sprach sie den Mann an, als ob er Emanuele sei. „Was geht hier vor?“, hauchte sie zu ihm. „Wofür deine Freundlichkeit? Wofür der Schneider? Emanuele, so sprich doch zu mir!“
Emiliana hörte ihre Worte. Als sie obenauf vernahm, wie die junge Frau ihren Sohn vertrauenssuchend mit seinem Namen ansprach, wurde sie, im Wissen, wie sehr sie ihn hinterging, unsicher. Hoffte er etwa zu Recht auf Zuneigung und zerstörte sie ihm die Erfüllung seiner Wunschträume?!
Indes – für einen Rückzieher war es zu spät. Es wäre nämlich nicht das erste mal, dass ER hier irgendwo schon auf sie lauerte, angelockt vom Quietschen der Tür…
Schnell verbiss sich Emiliana ihre Gefühlsaufwallung in der Vorstellung, sie würde von IHM beobachtet. Sie winkte den Wächtern, damit diese fortfuhren.
Entgeistert, da sie keine Antwort erhalten hatte, und im surrealen Empfinden ihrer Nacktheit, verfolgten Edelfas Augen, wie man sie auf die kalte, steinerne Tischplatte legte.
Nachdem sie dort angekettet war, entfernten sich die zwei Maskierten. Damit schwand Edelfas letzter Hoffnungsschimmer, einer der Männer würde Hut und Maske abnehmen, um sich als Emanule zu entlarven…
…und um ihr einen groben Scherz einzugestehen?? Edelfa war restlos verwirrt und plötzlich aufflackerndes Licht verstärkte ihre Kopflosigkeit:
Emiliana war vor einen Schrein getreten, wo sie eine Öllampe in Form eines Widderkopfes entzündet hatte. Deren unruhiger Schein offenbarte die Tiefe des Gewölbes mit einer Vielzahl an Deckenbögen. Und jenes Öllicht beleuchtete noch etwas anderes:
In dem Schrein stand ein massiver Drudenfuß… dem die verhasste schwarzgekleidete Gräfin nun mit erhobenen Händen huldigte… und teufelsanbeterische Formeln ausrief.
In böser Vorahnung entlud sich aus Edelfas Brust ein Schrei, den durch das Gewölbe hallender Donner übertönte… Wie aus dem Nichts waberte Schwefelgestank auf und aus dessen Qualm… entstieg… ER – der leibhaftige Teufel.
Trotz ihrer tiefen Frömmigkeit hatte Edelfa die Schilderungen Padre Gaudenzios über das Aussehen des Höllenfürsten bisher als eher märchenhaft empfunden. Doch als sie IHN jetzt sah, wusste sie, dass keine der Beschreibungen übertrieben waren:
Schwarz behaart und dennoch rotglühend war SEINE hagere, im Rücken leicht gekrümmte Gestalt mit durchscheinenden Rippen. Über SEINER Stirn erhoben sich zwei rote Hörner, und darunter, aus tiefdunklen Augen, sprühten gleißendhelle Funken. SEIN Antlitz mit Kinnbart und spitzen, haarigen Ohren glich dem eines Ziegenbocks. SEINE knochigen Lenden verhüllte ein Tuch und um die Schultern trug ER einen langen schwarzen Umhang mit auffälliger Schließe – ein von einem Ring umschlossenes Pentakel. SEIN linker Unterschenkel war der eines Pferdes, der in einem Pferdehuf endete.
„Was gibt es, MEINE Schöne?“, donnerte ER. „Weshalb heute so förmlich?“, folgte trocken. ER neigte sich zu Emiliana und küsste sie auf den Mund.
„Die Jungfrau“, wies ihre Hand auf Edelfa, „möchte ich DIR weihen, MEIN Fürst.“
„Oho, eine Jungfrau! Hier? Für mich? Wie kommt es?“ Nicht wirklich verwundert, denn längst hatte ER einen Blick auf die nackte junge Frau geworfen, näherte ER sich mit gierigen Blicken der erstarrenden Edelfa.
Auch Emiliana fuhr der Schreck in die Glieder. Hatte ER sie falsch verstanden?? Bloß weihen wollte sie IHM die Jungfrau, als Emanueles Gattin, nicht für IHN selbst…
Eilig folgte sie IHM an den Tisch, doch ER schob sie beiseite. Glühenden Blickes fasste ER nach Edelfas Haar. Mit einer Hand zwirbelte ER eine ihrer Strähnen zwischen den Fingern, während SEINE andere Hand wonnig von ihrem Hals hin zu ihren Brüsten, dann zu ihren nackten Lenden strich. Dort verharrten DES TEUFELS FINGER.
„Köstlich! Unberührt und rein wie die Heilige Jungfrau! Schnell, gib MIR von ihrem Blut, MEINE Schöne! ICH will sie wohl als MEINE Tochter anerkennen!“
In Erleichterung meinte Emiliana, ein Felsbrocken rausche zwischen ihre Füße. Umso emsiger ging sie zurück zum Schrein, von wo sie mit einem spitzen Messer nebst Silberbecher zurückkam.
Unter SEINEN erwartungsfrohen Blicken rieb ER SEINE Hände, unterdessen Emiliana eine von Edelfas Adern anritzte. – Blut rann in den Becher.
Wenig später soff ER gurgelnd, wobei ER begann, mit einem SEINER langen Fingernägel die Haut an Edelfas linker Hüfte aufzukratzen.
Edelfa meinte, dort brenne sie lichterloh. Dieser schlimme Schmerz löste aber ihre Schockstarre. Ihre Augen, die mit SEINEN Berührungen am Deckengewölbe über ihr wie unter Zwang anhafteten, bewegten sich.
ER sah es, über den Rand des Silberbechers. Sofort begann ER, ihre Blicke mit SEINEN Augen fixieren zu wollen. Edelfa empfand dies wie den Versuch, in ihre Seele einzudringen. – Sie widerstand IHM. Mutig erwiderte sie SEINEN Blick für einen Atemzug, um dann ihre Augenlider zu senken.
Dies war aber auch das einzige, was sie in diesem Grauensmoment zu tun vermochte. Doch es war genau das Richtige:
Indem sie ihre Augen SEINEN bohrenden Blicken verweigerte, spürte sie ein einkehrendes Gefühl von Gottvertrauen.
„Ein starker Wille, MEINE Schöne“, kommentierte ER. „Mehr, gib MIR mehr von ihrem Blut.“ Frei von Hast, aber unaufhörlich, kratzte ER an Edelfas Hüfte, bis ein weiterer Becher gefüllt war.
„Nun sage mir“, dröhnte SEINE Stimme in Edelfas Ohren, als ER den Becher leergeschlüft hatte. „Wer ist sie und warum weihst du sie MIR, MEIN Teufelsweib?“
„DEIN Sohn hat sie für sich erwählt. Zu seinem jungfräulichen Weib, das ihm seine Nachkommen schenken wird.“
„MEIN geliebter Sohn also. Wo ist er? Weshalb bringt er sie MIR nicht selbst?“
Ungeachtet dessen, dass man IHM die Antwort schuldig blieb, tasteten DES TEUFELS FINGER an Edelfas Herzgegend und sie spürte, wie ER nach ihrem Herzschlag suchte.
„In der Tat!“, rief ER unvermittelt aus. „Das gleiche Feuer! MEIN Sohn hat gut gewählt! Sie ist es und deshalb, MEIN geliebtes Weib, sorge du dafür und gib ihm die Ewigkeit mit ihr!“
In Edelfas stählernem Verwehren erreichten SEINE Worte nur noch ihr Unterbewusstsein. Doch dieses schickte aus der Tiefe ihrer gepeinigten Seele einen gellenden Schrei. Danach schwanden ihr die Sinne.
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Auf Burg Cortemilia in der Nacht zum 08. August 1557
Langsam kehrte Edelfas Wahrnehmung zurück. Das erste, was sie spürte, war ein höllischer Schmerz. Um ihn zu ergründen, öffnete sie ihre Augen:
Dunkelheit umgab sie allenthalben. Ein Blinzeln nach den Umrissen ihrer Umgebung offenbarte ihr jedoch, dass sie allein war und im Himmelbett lag. Hatte sie schlecht geträumt?? Der Schmerz bloß eine Einbildung??
Edelfa bewegte sich. Nein. Der Schmerz blieb.
Sie lüpfte die Bettdecke und ihr erschloss sich, dass jener unsägliche Schmerz von ihrer linken Hüfte herrührte. Vorsichtig zog sie ihr Nachthemd beiseite und mangels Licht forschte sie mit den Fingern an ihrer Haut. Diese war verletzt… Mit dem Entlangfahren an jenen Kratzern gab es für sie keinen Zweifel:
Ein fünfzackiger Stern war tief in ihre Haut eingeritzt worden.
Edelfa fuhr im Bett auf, denn jetzt wusste sie es:
Sie hatte dieses Grauen nicht bloß geträumt. Die schwarze Gräfin war mit dem Teufel im Bunde… und sie selbst war dem Höllenfürsten geweiht worden…
Urplötzlich meinte Edelfa, SEIN schwefeliger Geruch stecke nicht nur noch immer in ihrer Nase, sondern er hafte ihrem ganzen Körper an. Ungeachtet dessen, dass sie fast nichts sehen konnte und ihr jede Bewegung wehtat, kroch sie aus dem Bett und tastete sich entlang der Wandvertäfelung zum Türchen, das ins Seitengemach führte.
Auch dort vergewisserte sie sich zuerst ihrer Umgebung im Verlangen, nach der wuchtigen Wasserkanne greifen zu können.
Im gleichen Moment, in dem sie den vollgefüllten Krug anhob, schob der Wind eine Wolke beiseite, die bislang den vollen Mond verborgen hatte. Dieser schickte sein magisches, fast taghelles Licht ins Zimmer. – Edelfa erschrak entsetzlich, weil meinte, es wären SEINE glühenden Augen, die durch die Fensterscheibe zu ihr starrten. Beinahe wäre ihr die Wasserkanne aus den Händen geglitten. Einzig ihr drängendes Bedürfnis, ihren Körper zu reinigen, ließ sie instinktiv gegen den Schreck ankämpfen und sich an der Kanne festkrallen.
Nachdem sie sich etwas beruhigt hatte, goss sie Wasser in die Waschschüssel. Sie zog ihr Nachthemd aus und seifte sich von Kopf bis Fuß ein. Ihre brennende Hüfte sparte sie dabei nicht aus. Im Gegenteil. Sie seifte und schrubbte und schrubbte… bis sie gewahr wurde, dass mehr und mehr Blut aus den Kratzern rann. Schnell beendete sie derenthalben ihre Waschung und tupfte das Blut behutsam an ein Handtuch. Erst, als es versiegt war, spülte sie den Seifenschaum von ihrer Haut ab.
Beim Abtrocknen schnüffelte sie nach dem Seifenduft auf ihrer Haut. Auch am Nachthemd roch sie, das sie fasste, als sie das Handtuch weggelegt hatte:
Sie befand es für frischgewaschen, was ihr genügen musste, obwohl sie lieber ein anderes Hemd angezogen hätte. Doch ihr stand keines zur Verfügung… Unbekleidet zu schlafen war keine Option für sie und notgedrungen warf sie sich das Nachthemd zitternd über.
Eigentlich hatte sie nun ins Bett zurückgehen wollen. Aber schon der Gedanke an ihr unfreiwilliges Schlaflager und das Grauen, das sie dort bestimmt einholen würde, bescherten ihr unsägliche Qualen.
Hilfesuchend schweiften ihre Augen zum Fenster. Es verhieß ihr pure Freiheit. Wie von einem Bändchen gezogen, ging sie zu ihm und öffnete es. Bevor sie sich weit hinauslehnte, um jene Verheißung zu fühlen, galt ihr Blick dem Vollmond:
Jetzt ängstigte er sie nicht. Im Zusammenspiel seines Lächelns, das sie seinem Aussehen andichtete, mitsamt der sternenübersäten Himmelswelt und der zauberhaften Nachtstille fühlte sie sich ihrer schrecklichen Gegenwart entrückt.
Edelfa gierte nach der frischen Nachtluft. Zeitgleich streckte sie ihre Arme in der Vorstellung, ihr erwüchsen Flügel, die sie kraftvoll hinwegtrügen.
Aus dieser Körperhaltung heraus betete sie. Stumm, doch nicht weniger intensiv. Mit ausgebreiteten Armen, anstatt mit gefalteten Händen. Mit zum Firmament emporgestrecktem Gesicht, anstatt mit geneigtem Haupt. Inbrünstig erbat sie himmlischen Beistand, den sie mit dem heftigen Schlagen ihres Herzens empfangen zu haben glaubte.
Derart beseelt schaffte es Edelfa, ins Bett zurückzukehren, doch nicht, ohne für das ihr geschenkte, tröstliche Wohlempfinden zu danken.
Musik Ende Episode 18: ES_Journey’s End – Jon Bjork
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